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Der Bildermacher

Skizzen aus dem Leben des Schweizer Künstlers Peter Knapp

Klosters. Man kann nicht sagen, dass Peter Knapp 1966, als er 35 Jahre alt war, die Welt zu klein wurde und er deshalb den Himmel entdeckte. Aber er hatte, nachdem er vier Jahre lang Art Director des Pariser Magazins Elle gewesen war und wie nebenbei auch noch einer der bekanntesten Modefotografen der Welt wurde, eine Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit und dem weiteren Werden seines Werdeganges.
Er wollte nicht jenen herkömmlichen Werdegang vieler Künstler nachskizzieren: Familie, Haus, Pool, Manierlichkeit, Wiederholung.

Skizze 1.
Den Stempel, den man ihm damals verpasste, war: Peter Knapp, Modefotograf. Es klang nach Endstation. Und Knapp hatte zuvor die Grenzen der Modefotografie längst zuerst ausgelotet und dann erweitert und da und dort verschoben und ihr neue Formen gegeben. Bis er zur allerletzten gestossen war; die unüberwindbare, dieser Kunstform innewohnende Grenze, die zwangsläufig kein Künstler je ganz passieren kann. Hatte Bilder komponiert, die noch keiner im Kopf hatte. Hatte Antworten gegeben auf Fragen, die noch keiner gestellt hatte. «Die Fotografie ist limitiert», sagt er, «sie geht nicht weit genug.» Und sein Blick wandte sich damals dem grenzenlosesten zu, was es gibt auf dieser Welt, dem Himmel. Und die Wahrnehmungsformen von ihm auf der Erde. «Der Himmel ist dort», sagt Knapp, «wo es keine Antworten mehr gibt.» 20 Jahre lang taucht Knapp in den Himmel ein, in seine Farben, in sein Spiel.

Skizze 2.
Es gibt Leben, die scheinen von einer glücklichen Selbstverständlichkeit begleitet. Leben, in denen der Künstler ohne grosse Umwege seinen Weg findet, sein Talent das richtige Timing, sein Werk die Zeit. Knapp wollte einmal Flugzeugbauer werden, weil er als Kind in Oerlikon in den Himmel schaute und die Flugzeuge sah. Zuerst Kriegsflugzeuge, dann zivile. Er konnte malen, Fahrradfahren und war wie im Himmel, wenn er bei seinen Grosseltern in den Bergen war. Seine Mutter schickte ihn zu einem Berufsberater. Der empfahl ihm die Kunstgewerbeschule in Zürich. Knapp wurde aufgenommen, er war 17. Er kaufte sich Leonardo Da Vincis «Traktat von der Malerei» und las darin, dass ein erzähltes Projekt nichts sei, solange es nicht von einer die Absicht ausdrückenden Skizze begleitet ist. Dieser Satz war eine künstlerische Lebensprägung, das Leitmotiv Knapps. Seither beginnt er jedes visuelle Vorhaben mit einer Skizze.

Skizze 3.
Knapp war immer ein Maler, der zufällig Fotograf geworden war. Und kein Fotograf, der zufällig Maler wurde. Knapp ist ein Bildermensch. Als er ein Kind war, besuchte er Malstunden, die sein Vater bezahlte. Viel mehr Vater war da nicht. Seine Mutter liebte Museen, und sie und Peter verbrachten die Wochenenden dort. Das sind die groben Striche der Skript-Skizzen seiner Jugend. Mit 20 machte er «das Köfferli» und ging nach Paris an die Ecole des Beaux-Arts in Paris. Am 1. April ist er dort, viel zu früh, die Schule beginnt erst ein halbes Jahr später. Knapp dachte, das sei wie in der Schweiz. Stellt sich vor, zeigt sein Dossier. Nicht so toll. Es sei «konstruiert, konzeptiert und schweizerisch». Der Leiter der Kunstschule zeigt ihm ein anderes Dossier, eines, das wirklich gut sei: Es war jenes von Matisse. Knapp sagt, das sei nicht fair, wird aber trotzdem genommen. Er ist jetzt in Paris, ohne Schule, ohne Atelier. Der Schulleiter sagt, er solle sich bei César Baldaccini melden, dem Doyen. Der fragte, ob er Trompete spielen könne, weil sie bräuchten jemanden für die Fanfare des Beaux-Arts, diesen musikalischen Carneval der Studenten. Trompete kann ich, sagte Peter Knapp. Er wurde aufgenommen in die Kapelle, traf Studenten mit Ateliers, die ihm einen Platz zur Verfügung stellten.

Skizze 4.
Peter Knapp ist geworden: Grafiker, Typograf, Art Director, Fotograf, Filmemacher, Illustrator, Buchmacher, Maler, ruhender Rastloser und Radfahrer. Er ist immer alles gleichzeitig. Er ist wie ein Koch, der auf fünf Pfannen kocht und mal in der und dann in jener rührt. Die Grundzutat ist stets dieselbe: Es beginnt alles mit einem Strich, der zur Skizze wird. Alles wird skizziert, ein künftiges Bild, eine Fotografie, die Seitenabfolge eines Elle -Magazins, die Skizze ist die Geburt. «Ich gehe», sagt Knapp, «immer von etwas ganz Einfachem aus, um bei noch weniger zu landen.» Seine Ausführung sei stets gestisch. «Was ich vor allem anstrebe, ist der Kontakt. Da ich mich nicht in Details verliere, bleibt es dem Betrachter überlassen, seine eigene Interpretation, seine eigene Erzählung dazu zu erfinden.»

Skizze 5.
1960 geht er nach New York. Zusammen mit Tinguely. Dass er inzwischen künstlerischer Leiter der Galeries Lafayette in Paris ist, spielt keine Rolle. Ist auch nur eine Grenze, die man hinter sich lassen muss. Knapp macht eine neue Erfahrung in New York. «Es lief nicht», sagt er. Draussen in New York war Pop Art, in seinen Bildern Knapp Art. Die Menschen sahen nicht, dass es sich um kontrollierte künstlerische Explosionen handelte. Aber Scheitern ist kein Drama, wenn man früh bemerkt, dass man scheitern wird und abbricht. Und wieder von vorne anfängt.

Skizze 6.
Angst vor dem Tod hat er nicht, Angst vor dem Leben hatte er nie. Da ist an diesem Tag in Klosters unter diesem fraglos blauklaren Himmel nur die Befürchtung, dass der Tod zu schnell kommen könnte. Wenn eine Angst da ist, dann jene, Zeit zu verlieren. Man merkt das um halb vier Uhr nachmittags, dann muss man gehen. «Vier Uhr ist der letzte Moment im Tag, an dem man noch mit der Arbeit beginnen kann.»

Skizze 7.
Zurück in Paris läuft es. Er skizziert jede Ausgabe der Elle , er malt, er fotografiert all die Ikonen der Zeit, deren Schönheit wie grenzenlos ist. Abends, wenn die Schönen zuerst von der Pariser Nacht umhüllt werden, um danach in sie abzutauchen, geht er nach Hause und skizziert und malt und taucht ab in seine Welten. Vom ersten grösseren Honorar kauft er sich einen Mercedes SL300, den mit den Flügeltüren. 20 000 Franken. Danach fehlt ihm das Geld für das Benzin. «Ich wollte dieses Auto unbedingt. Weil es ist wie eine gute Skulptur; Max Bill, aber brauchbar.» Das Geld für Benzin ist bald kein Problem mehr. Knapp ist gefragt bei den grossen Magazinen der Zeit,
Marie Claire, Vogue, Sunday Times und Stern . «Materiell hatte ich nie zu kämpfen.» Materielles, ausser als Rohstoff für seine Kunst, hat ihn nie gross interessiert. Seine Häuser, seine Wohnungen: «Das war für die Frauen. Mir hätte das Atelier gereicht.»

Skizze 8.
Es gibt eine Serie von ihm, die heisst «Der Mensch ist überall.» Es sind Fotografien, in denen er Menschen ins Bild und Bilder in Menschen setzt. Es ist eine Suche nach dem Menschlichen. «Der Mensch», sagt Peter Knapp, «ist überall, das ist eines meiner Themen seit Langem, aber es ist so weitläufig, dass ich mich darin verliere. Der Mensch, so scheint es, ist wie der Himmel; überall. Beide sind undurchdringlich.» Und: «Ich bin auf der Suche nach dem Menschen. Ich habe die nichtssagenden Porträts gelöscht, um nur die Umrisse beizubehalten, ich habe Bäume wie auch Menschen gefunden.»

Skizze 9.
Das, und einen ganz kleinen Himmel für sich selber, bei dem er die Grenzen selber skizzieren kann.

Literatur an der Wäscheleine

Onorio Mansutti und die Geschichten der Welt im Heftformat

Basel. Man muss ein wenig zurückblättern. 300 Jahre mindestens. Die Menschen in Portugal waren verrückt nach diesen Geschichten, die in kleinen Heften verkauft wurden, und diejenigen, die sich aufmachten über den Atlantik, wo Brasilien lag, das gelobte Land, die portugiesische Kolonie, nahmen sie mit.

Die Heftchen, das war grossartige Poesie gemischt mit derbem Klatsch und angereichert mit den kleinen und grösseren Problemen des Lebens. Es ging damals, wie heute immer noch, um: Verbrechen, Märchen, Sagen, Politiker, Huren, Fussballspieler, um Essen, Trinken und Furzen, um die Liebe, das Leid, das Leben, den Tod. Sie bekamen den Namen «Literatura de Cordel», Literatur auf der Schnur, weil sie auf einer Leine mit einer Klammer befestigt verkauft wurden. Heftchen, deren Deckblätter lange mit Holzschnitten gestaltet wurden, mit Geschichten in Versformen, die sich wenig um Grammatik und noch weniger um Anständigkeiten kümmerten. Die Literatura de Cordel, oder die «Folhetos», erlebten bessere und weniger gute Zeiten, aber nie schlechte.

Der Fotograf Onorio Mansutti nennt sie auch «brasilianische Schnitzelbänke». Im Nordosten von Rio hat er die Folhetos, dieses vielleicht älteste Feuilleton der Welt mit Boulevardcharakter, für sich entdeckt, auf einem Markt. Seine Verfasser sind teils namenlos, teils berühmt gewordene Künstler, und was sie gemeinsam haben, ist, dass sie nie belanglos sind. Egal ob es im Heft um Donald Trump geht oder um die verschiedenen Formen der Flatulenz.
Die Dichter dieser Geschichten sind in der Regel auch deren Rezitatoren, deren Sänger, Illustratoren und Buchdrucker und Verkäufer. Sie preisen sie an auf den Märkten, im Wettstreit gegen ihre Konkurrenten, und natürlich reimt sich alles. Die Zeiten, als die Cordels ein Informationsmedium waren, sind ein wenig vorbei, dennoch verblüht die Kultur der Hefte und ihre Verankerung im Alltag keineswegs. Sie sind stets unterhaltsam, das ist das eine, und sie sind zur ergiebigen Inspirationsquelle für brasilianische Künstler geworden.

Mansutti weiss nicht mehr genau, wann er begann, diese Preziosen der Unterhaltungskultur zu sammeln, aber er erinnert sich, warum: «Ich mochte ihre Poesie, die Kraft darin, auch die Unabhängigkeit, die sie besitzen, die Bandbreiten der Themen. Und dass sie sich in den Zeiten der Massenmedien mit ihrer Individualität durchsetzen konnten. Ich glaube, sie blieben am Leben, weil sie die Poesie und auch das Elend des brasilianischen Lebens durch poetische Dichtung verdichteten.»

«Two times no photos»
Zwei Fotografen und die Kunst jenseits der Kamera
Doppelvernissage von Littmann Kulturprojekte in der

Central Station, Sternengasse 19, 1. UG am Dienstag,
19. September ab 18 Uhr. Die Künstler sind anwesend.

Peter Knapp: «Schwarz gezeichnet»

Onorio Mansutti: «Literatura de Cordel»

Die Ausstellung ist gleichzeitig das «Season Opening», das am kommenden Donnerstag 21., Freitag 22. und Samstag 23.9. ab 17 Uhr den Start in die neue Saison in der ganzen Central Station mit einem vielfältigen Programm feiert.
www.centralstation.me

Más traducción no disponible – CENTRAL STATION, Basel 2016 bis Ende 2018

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