Gastbeitrag: Welche Kultur braucht Basel? MEHR MUT!

Eine interessante, aber unklare Frage! Was ist mit «Basel» gemeint, die Classe politique, das Standortmarketing, die Gesamtbevölkerung oder nur die künstlerisch tätigen Menschen? Die Antwort hängt vom Standort des Antwortenden ab und greift deshalb immer zu kurz. Die Van-Gogh-Ausstellung hat Basel viel Lob eingetragen. Ein gelungenes Projekt, jedenfalls vom Marketingstandpunkt aus. Solche Projekte braucht jede Stadt, sie sind fürs Stadtmarketing unerlässlich.

Für ähnliche Anlässebraucht es geeignete Räumlichkeiten, Organisationspotenzial und selbstverständlich Geld. Alles Dinge, die der Öffentlichkeit mehr oder weniger zur Verfügung stehen. Ausserdem demonstrieren solche Projekte den guten Geschmack einer Stadt und ihrer «Stadtväter» und «Stadtmütter».

Um es klar zu sagen: Keine Stadt kommt ohne diese obrigkeitlich geprägte Kultur aus. Jede obrigkeitlich dominante Kultur droht aber oft angepasst, träge und manipulativ zu werden. Etwas übertrieben: schön, langweilig, gesättigt, harmoniesüchtig und ziemlich leer. Basel kennt natürlich auch andere Ereignisse: Alte Stadtgärtnerei, Schlotterbeck, Stücki, Bell Areal, nt/Areal. Diese Ereignisse haben gemeinsame Merkmale: Sie sind prozesshaft, nicht oder schwer kontrollierbar, manchmal «unanständig», chaotisch und damit, mit Ausnahme der weitgehend autonomen Fasnacht, für das Standortmarketing ohne Nutzeffekte. Zudem gibt es keine Garantie für «political correctness». Projekte dieser Art leben von unten, entstehen meist spontan, leiden an Geldnot, sind oft anmassend und unangepasst, sind für viele ein Ärgernis und machen vielleicht auch Angst. Kunst und Kultur, so meint man, sollen aber Ruhe und Ordnung fördern, Harmonie schaffen und anständig sein. Natürlich steht kein moderner Gutmensch offen zu dieser Art von Kulturverständnis. Die historisch gelebte Realität ist aber so. Die beiden unterschiedlichen Kulturverständnisse, polarisiert durch Van-Gogh-Ausstellung und Alte Stadtgärtnerei, eignen sich gut für Thesen einer lebendigen Kulturpolitik.

  1. Kultur ist immer ein dialektischer Prozess – sie lebt von Widersprüchen und im besten Fall von deren Auflösung.
  2. Eine lebendige Stadtgesellschaft tut gut daran, wenn sie Kultur von «oben» und «unten» zulässt.
  3. Kultur entwickelt sich immer chaotisch; geplante Kultur ist einförmig, undemokratisch und kann manipulativ sein.
  4. Ohne Subventionierung durch Staat und Gesellschaft, zumindest im strukturellen Bereich, geht es aber nicht.
  5. Raum im ausreichenden Mass, günstig und ansprechend, ist für die Kultur notwendig und kann nur von der öffentlichen Hand oder von Sponsoren zur Verfügung gestellt werden.

Noch wichtiger ist der Mut von Gesellschaft und Politik, Kultur in ihren widersprüchlichen und oft chaotischen Ansätzen zuzulassen. Basel hat ein reiches kulturelles Erbe und eine reiche kulturelle Gegenwart. Eigentlich fehlt es in Basel an nichts. Basel ist wohl situiert und hat eine kulturell engagierte Ein- und Anwohnerschaft und Basel hat einedurchaus engagierte Wirtschaft. Basel hat Ideen, Humor und eine gewisse Grosszügigkeit. Wünschen würde ich Basel aber mehr Mut, um Widersprüche, Chaos und Ungereimtheiten zu ertragen und deren kulturellen Manifestationen mit Humor, Neugier und Gelassenheitzu begegnen.

Basel braucht Projekte wie die Van-Gogh-Ausstellung, Basel braucht aber auch Projekte und Prozesse wie die Alte Stadtgärtnerei, Schlotterbeck, nt/Areal etc. Dies verlangt allerdings auch Toleranz. Toleranz ist eine Eigenschaft, auf die Basel stolz ist. Toleranz zwischen Gleichgesinnten allein hilft allerdings wenig – sie ist aber gefordert, wenn im Kulturbereich Gegensätzliches auszuhalten ist. Kultur hat deshalb zumindest bei uns viel mit Meinungsfreiheit zu tun. Meinungsfreiheit braucht Mut, ist unbequem und wird nicht immer politisch korrekt gelebt, kann vielleicht auch nicht immer politisch korrekt sein. Wenn die BVB den Werbekleber der Freidenker mit dem Slogan «Da ist wahrscheinlich kein Gott» eigenmächtig untersagt oder eine Behörde nach Konsultation der Fachstelle für Integration und Gleichstellung das durchaus überflüssige und provozierende Anti-Minarett-Plakat ohne politische Diskussion verbietet, sind dies klare Verstösse gegen das wichtigste Kulturgut, die Meinungsfreiheit. Dies auch dann, wenn, wie ich annehme, ehrenhafte Motive ausschlaggebend waren. Wir sind wieder bei der entscheidendenAussage. Kultur braucht in erster Linie Mut. Rücksichtsnahme, vorauseilender Gehorsam oder gar Bevormundung sind keine guten Ratgeber in Sachen Kulturpolitik. Ausserdem ist Bevormundung – man hat das beim Verbot des Anti-Minarett-Plakats gesehen – kontraproduktiv. Kulturpolitik braucht den Mut, auch etwas zuzulassen, gegen das man aus guten Gründen kämpft.

www.kulturpolitik.bazonline.ch

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