beteiligte Künstler:

César (FR)

Das Projekt

EIN MONAT LEKTÜRE DER BASLER, 1996 – Eine temporäre Kunstintervention von Klaus Littmann

Pierre Restany, Kunstkritiker, Kulturphilosoph und Begründer sowie Namensgeber der Gruppe Nouveaux Réalistes

Durch seine Kompressionen ist César zum Meister der künstlerischen Wiederverwertung industrieller Produkte geworden: Nach den Autokarosserien folgte fast alles, Plastik, Schachteln, Jeans, Lumpen, Kartons und Altpapier. Der Vorgang der Kompression ist ein direkter Eingriff an einem Bruchstück der Industrielandschaft. Er verleiht dem Grundobjekt eine gesteigerte Wirkung, die über seine normale Bestimmung hinausgeht. Damit wird ihm ein spezifisch semantischer Mehrwert zuteil, welcher ihn zu Kunst werden lässt und vom Bereich der industriellen Produktion in denjenigen der Ästhetik projiziert, von der Materie zum Leben.

Mit den Kompressionen, wie die „Affichistes“ mit ihren „Décollages“ oder Christo mit seinen Verpackungen hat uns César das Leben verändert, indem er uns gelehrt hat, den alltäglichen Anblick der industriellen und urbanen Umgebung mit neuen Augen zu sehen. Seit seinen ersten historischen Kompressionen, die 1960 im „Salon de Mai“ einen Skandal auslösten, können wir an den Autofriedhöfen der öden Vorstädte nicht mehr vorbeigehen, ohne an ihn zu denken und an die organische Schönheit, die er aus Schrotthaufen in unseren Augen hat entstehen lassen.

Der Prozess der Kompression trifft direkt ins Herz des Produktionsmechanismus unserer Industriegesellschaft, womit sie eine der deutlichsten symbolischen Kundgebungen darstellt. Die Modernität Césars liegt in seinem scharfen Gespür für die logische Kraft der Beziehung zwischen Kunst und Industrie. Ständiger Wächter deren poetischen Schicksals durchstöbert er Lagerhäuser oder Fabriken, um einen dieser „Glücksmomente industriellen Zufalls“ zu entdecken.

Auf diese Weise entdeckte César das märchenhafte Universum der Altpapierbetriebe der „La Rochette“-Gruppe in Orléans und Nanterre. Auf der Esplanade der Défense stellte er Tonnen und Abertonnen von in kantige Ballen gepresstem, mit Metallbändern umreiftem und zusammengehaltenen Papier aus. Diese offene Zurschaustellung bot uns den Anblick einer Panoramalandschaft einer weichen und bunt gefärbten Geologie aus Türmen, schroffen Bergen und glatt abfallenden Steilküsten. Ich ertappte mich beim Träumen, überwältigt von der unerwarteten Entdeckung dieser Welt voller Wahngebilde. Und ich konnte einmal mehr feststellen, dass eine der fesselndsten Facetten von Césars Genie in der außergewöhnlichen Gabe besteht, uns unvermutet zu verblüffen und die alltägliche Routine unserer visuellen Gewohnheiten und die vertraute Eintönigkeit unserer urbanen Horizonte fragwürdig erscheinen zu lassen.

Und dann sechs Jahre später geschieht es: Anlässlich der ART in Basel wird César rückfällig in Komplizenschaft mit seinen Freunden Peter Knapp und Klaus Littmann. Er präsentiert den Besuchern der berühmten Kunstmesse „die Monatslektüre der Basler“, eine gigantische Mauer von 720 Tonnen Ballen aus Papier zu Wiederverwertung. Gelesenes und Ungelesenes eines ganzen Monats, Tages-, Wochen- und Monatsblätter. Eine gigantische Operation wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Es brauchte 45 Lastzüge, um die nahezu tausend Papierballen an Ort und Stelle zu transportieren. Die alten Zeitungen werden zu fünf Blöcken gestapelter Ballen zu je 144 Tonnen auf der grossen Grünanlage gegenüber des Messeeingangs aufeinander geschichtet. Der Platz, um fünf Uhr morgens noch leer, ist bereits am Mittag Schauplatz des vollendeten Stapelmonuments, welches dort für 72 Stunden bleiben wird, sich durch die täglichen und nächtlichen Lichteffekte laufend verändernd und sich darstellend als Teil einer riesigen Steilküste, ausgesetzt den Launen des Windes. César hat den Baslern für drei Tage das faszinierende Spektakel eines verblüffenden Seherlebnisses geschenkt. Neben den sich aneinanderreihenden Ständen der Händler der Gemälde hat er seinen ureigenen Stand gezaubert als Händler der Träume. Eine superbe Geste, welche einem Anhalten der Zeit gleichkommt, wenn wir auf wundersame Weise eingetaucht werden in die Poesie der andauernden Gegenwart des Imaginären. Die Demonstration ist absolut perfekt. César liefert uns einmal mehr einen Beweis seines metamorphischen Talents: „neuer Sinn für altes Papier“.

César Baldaccini, genannt César, (* 1. Januar 1921 in Marseille; † 6. Dezember 1998 in Paris) war ein international bedeutender französischer Bildhauer des Nouveau Réalisme. Während er unter seinem Nachnamen so gut wie nicht beziehungsweise nur Eingeweihten bekannt ist, ist er als „César“ weltberühmt. Er hat auch den César, die Trophäe des französischen Filmpreises, geschaffen.

FONDATION CESAR FOUNDATION

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